Erschienen in : Kendo World Magazine 1.3 2002
Autor: Steven Harwood
Übersetzung: Stefan Alpers
Veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis des Kendo World Magazine
Seiza oder Mokusô und Atemkontrolle
In dieser Ausgabe möchte ich zuerst die Übung von seizai und mokusôii betrachten, wo man vor und nach dem Training für eine Weile ruhig sitzt, und im Besonderen seine Verbindung zur Zwerchfellatmung untersuchen. Die korrekte Haltung für mokusô ist die gewöhnliche japanische formale knieende Haltung für seizaiii. Die Elemente des seiza sind sehr ähnlich mit denen, dich ich für shizen-tai in meinem letzten Artikel beschrieben habe: der ganze Körper ist entspannt; ein natürlich nach innen gewölbter Rücken mit etwas Spannung im unteren Unterleib; lockere Schultern und gerade Hals. Übliche Fehler in der Haltung enthalten, den Rücken nach außen zu wölben (in Japan als „Katzenbuckel“ bezeichnet) und die Brust herauszustrecken. In der Okada-shiki Seizahô-Meditationsschule werden die Elemente des korrekten Sitzens mit dem Begriff der „drei V“ gelehrt, der hervorhebt, dass das Gesäß nach hinten geschoben wird; die Hüften und der Bauch nach vorne geschoben wird, der Rücken nach innen gewölbt ist und die Region um den Solar Plexus der Brust auch nach innen und nicht nach außen gewölbt sein sollteiv. Die Besonderheiten des Sitzen in mokusô vor und nach dem Training betrachtend, schrieb Baba Takenori (Kendo Kyoshi 7. Dan):“Im seiza sitzend sollte man die Augen schließen (nicht ganz, sondern nur die Augenlider soweit herunterlassen, bis die Augen halb geschlossen sind und man 2-3 Meter vor sich sehen kannst), die linke Hand auf die rechte Handflächev legen, so dass sich die Daumenspitzen treffen um einen Kreis mit Daumen und Fingern zu bilden (hokkai jôin), und sie in den unteren Unterleib ziehen.“vi
Wir haben also untersucht, wie man den physikalischen externen Aspekt des mokusô annimmt – aber wir müssen dennoch seinen Grund erwähnen – warum tun wir das? Ich stimme ausdrücklich der Ansicht zu, die in Inoue Hanshis Artikel (s. erste Ausgabe) geäußert wird, dass wir mehr tun sollten als „nur die Bewegungen machen“, aber in der überwiegenden Mehrheit der Clubs (auch denen in Japan) wird den Praktizierenden wenig oder gar keine Anleitung in dieser Sache gegeben. Inoue Hanshis Erklärung von mokusô und hokkai jôin behandelte den etwas esoterischen Aspekt des Buddhismus und geistige Entwicklung an. Tatsächlich postuliert der japanische Zen-Buddhismus eine Trainingsmethode, in der man zuerst die Körperhaltung korrigiert, was dann zu korrekter Atmung führt. Ein Ergebnis davon ist ein Wandel im psychologischen Zustand und geistige Erleuchtung. In einer ganzheitlichen und monistischen Übung sind diese Elemente gleich essentiell und verstärken sich gegenseitig aber auf dieser Stufe möchte ich mich auf die Untersuchung der physikalischen Beziehung zwischen dem Sitzen in seiza und Atmung beschränken – und vorerst davon Abstand nehmen, in die verfeinerten Bereiche der psychologischen Transformation abzuirren.
Wie können sehen, dass die seiza-Haltung, welche den Unterleib betont und den Oberkörper vernachlässigt, und die hokkai-jôin-Handhaltung, die weiterhin das tanden hervorhebt, völlig mit der in der letzten Ausgabe diskutierten shizen-tai-Haltung übereinstimmen und die eng mit der Zwerchfellatmung verbunden sind. Tatsächlich definiert das maßgebendeste japanische Wörterbuchvii sogar die seiza-Übung als geistiges Training durch Entwicklung von Zwerchfellatmung. Dies weist also darauf hin, dass die Ziele von mokusô oder seiza im Kendo das Erlernen und die Entwicklung von Zwerchfellatmung sein könnten.
Einige Lehrerviii befürworten tatsächlich spezielle Lehrmethoden für Zwerchfellatmung während mokusô, um sicherzustellen das Schüler langsam und gleichmäßig atmen; Spannung in ihren Unterbäuchen halten, und zu lehren, dass ihre Atmung so ruhig sein sollte, dass sie von Beobachtern nicht wahrgenommen werden kann. Sanmiya Kazuhiro (Kyoshi 8. Dan) lehrt seine Studenten, durch ihre Nasen drei Sekunden lang einzuatmen, den Atem für zwei Sekunden zu halten und durch den Mund 15 Sekunden lang auszuatmen, was drei Atemzügen pro Minute entsprichtix. Einige Lehrer borgen sogar direkt von zazenx und befürworten als Technik, die Anzahl der Atemzüge zu zählen um sich von der aktiven Wahrnehmung der Umgebung loszulösen und die Seele vor und nach dem Training zu beruhigenxi. Allerdings schreibt Omori: “In modernen Kendo-Dojo werden die Leute dazu gebracht, für einige Minuten oberflächlich seiza einzunehmen aber sie werden nicht besonders in der Atmung gelehrt“xii und solche Lehrer werden zunehmend die Ausnahme.
Tatsächlich wurde ich vor einigen Jahren persönlich gewarnt, nicht wie ein Hund Luft durch den Mund zu schlucken, wenn ich in seiza sitze, nachdem das Training beendet wurde (das war nach 30 Minuten kakari-geiko im sommerlichen Tokio…) und als ich für meine Magisterarbeit recherchierte stieß ich auf die folgende Anleitung, die etwas Aufschluss auf die Gründe dieser (scheinbar grausamen) Anweisung brachte:
„Nach der Übung gibt es eine Tendenz für den Atem, schnell und schwerfällig zu werden. Zu diesem Zeitpunkt muss man die Kraft in den Unterbauch stecken, sein Schnaufen kontrollieren und sich bemühen, seine Atmung nicht zu offenbaren. Wenn man sich nach dem Training hinsetzt muss man tief und leise atmen und den rasenden Puls beruhigen. Schnelle Atmung ist ein hässlicher Anblick.“xiii
Ich glaube, dies illustriert perfekt die Verbindung zwischen äußerem physischem Auftreten (Körperhaltung) und Atmung und verstärkt meine Behauptung, dass in vielen Bereichen des modernen Kendo, einschließlich mokusô und seiza, Zwerchfellatmung, wenn auch stillschweigend, gelehrt wird.
Kamae; Fußarbeit und Atmung
Wie ich in der letzten Ausgabe geschrieben habe ist die Grundkörperhaltung von Kendo shizen-tai. Allerdings ist es vielleicht korrekter shizen-tai als Kendos statische Haltung zu beschreiben; wenn man ein shinai aufnimmt und umherwandert ist die Haltung, die als Basis für die Technik dient, kamae: kamae ist Kendos dynamische Haltung.
Eigentlich gibt es fünf kamae im Kendo (jôdan, hassô, chûdan, waki und gedan) aber in letzter Zeit, wenngleich es eine Minderheit gibt, die jôdan no kamae benutzt, benutzt die überwältigende Mehrheit der Kendobetreibenden chûdan no kamae ( auch als seigan bekannt). Dieses kamae ist auf folgende Art definiert:
„Eine Stellung, in der der rechte Fuß leicht vorne von der aufrechten Haltung ist und der linke Fuß auf einer Linie mit der rechten Ferse platziert wird; das shinai wird mit der rechten Hand knapp unter der tsuba (Parierscheibe) und der linken Hand am tsuka-gashira (dem Ende des shinai-Griffs) gehalten und die Verlängerung des ken-sen (Schwertspitze) zeigt auf den Bereich zwischen der Kehle und den Augenbrauen des Gegenübers. Das ist die grundlegenste Stellung im Kendo und ist sowohl für Angriff als auch Verteidigung geeignet.“xiv
Obwohl oberflächlich kamae, shizen-tai und seiza unterschiedlich erscheinen, führen sie im Wesentlichen dieselben Elemente: aufrechter Körper mit einer Betonung des Unterleibes und einer korrespondierenden Vernachlässigung des Oberkörpers: alle Elemente, die wir schon mit Zwerchfellatmung in Verbindung gebracht haben. Und wenn man das „3-V-Diagramm“ von Bild 1 auf Bild 3 transponiert wird man beobachten, dass Kendos dynamische Körperhaltung gewissermaßen mit dem seiza identisch ist, das im Atemkontrolle-basierten Meditationssystem der Okada-shiki Seizhô benutzt wird.
Zudem wird im kamae die linke Hand sehr nahe am tanden positioniert – und sie wird dort behalten, egal welche Technik man durchführt. Obwohl es dafür technische Gründe gibt, stellt es wohl auch, in ähnlicher Weise zu der Art, wie die Hände in seiza am tanden gehalten werden, eine Betonung des Unterleibes dar. Angeblich hat der in der Vorkriegszeit bedeutende Trainer Ozawa Aijiro gelehrt, dass man beim Kendo fühlen sollte als wenn „dein Bauchnabel auf der Parierscheibe ist – dies wird dich beruhigen. Atme durch den Nabel und deine Atmung wird dein kamae zusammenführen.“xv Und Oya Minoru weist auf eine Verbindung zwischen linker Hand und Atemkontrolle hin: “Du musst Deinen Atem, der bei jeder Gelegenheit zu steigen versuchtxvi, mit der linken Faust zurück in den Unterleib stopfen.“xvii
Da kamae eine dynamische Körperhaltung ist folgt daraus, dass Fußarbeit und Haltung im kamae eng verbunden sind. Kendos grundlegendste Fußarbeit ist okuri-ashi, bei der der linke Fuß alle Bewegungen initiert und den Körper (mit der Hüfte in seiner Mitte)vorwärts in den Raum schiebt, der durch den Vorwärtsschritt des rechten Beines entsteht; das linke Bein agiert als eine Feder, um das rechte Bein und den Körper nach vorne zu treiben und so die fundamentale insgesamt aufrechte Haltung erhält. Deswegen muss die Ferse des linken Fußes immer vom Fußboden entfernt sein, um sofortige Vorwärtsbewegung zu ermöglichen – dieses Element ist sowohl eine statische als auch ein dynamische Anforderung der Kendohaltung. Ein allgemeines Problem unter Anfängern ist, dass sie ihrer Ferse erlauben sich auf dem Fußboden niederzulassen. Wenn das passiert gibt es die Tendenz, mit dem rechten Bein einen Schritt nach vorne zu machen und das linke hinterher zu ziehen, statt das das linke Bein den Körper nach vorne treibt – das erzeugt eine Zeitverzögerung, in der sich der Körper nach vorne lehnt und die Haltung zerstört, was wiederum ernste Probleme bei der Technikausführung und korrekter Atmung hervorruft. Maeda Haruo (Kyoshi 7. Dan) sieht eine direkte Verbindung zwischen dynamischer Haltung, Fußarbeit und Zwerchfellatmung:
„Im Kendo muss die Fußarbeit eine aufrechte Position vorantreiben – man kann keine korrekte Fußarbeit ohne einen geraden Rücken durchführen. In der tanden-Atmung ist ebenfalls ein fundamentales Element, den Rücken gerade zu halten.“xviii
Eine aufrechte Körperhaltung, in der die Hüfte nach vorne geschoben ist, ist eine Voraussetzung sowohl für okuri-ashi als auch Zwerchfellatmung. Ogawa Chutaro verstärkt diese Verbindung zwischen Fußarbeit und Atmung, indem er es auf die Interpretation der konfuzianischen Lektion, dass normale Männer durch ihre Kehle atmen aber wahre Männer durch ihre Füße atmen, erweitert:
„Wenn Menschen im Kendo durch ihre Nase oder ihre Kehle atmen enden sie darin, nur mit ihren Armen zu schlagen…. Im Kendo sind deine Hüften und Beine entscheidend. Wenn deine Fußarbeit schlecht ist, wird dein Atemrythmus zusammenbrechen. Er bricht über deine Beine, über deinen linken Fuß zusammen….Wenn du deine Füße richtig machst, wird dein Atmen richtig sein. Du atmest mit deinen Füßen….Wenn dein linkes Bein korrekt ist, dann wird dadurch dein Schwerpunkt handeln und deine Haltung wird stabil sein. Nakayama-senseixix schaute während Prüfungen nur auf linke Beine – wenn das linke Bein schlecht war würde er sie sofort durchfallen lassen. So wichtig wäre es, dachte er.“xx
Der verstorbene Narazaki Masahiko (Hanshi 9. Dan) behauptete ebenfalls, dass abdominale Atmung essentiell für sowohl korrekte Haltung als auch Fußarbeit ist und schrieb:
„Entwickle deine Atmung indem du Stärke in deinen Bauch steckst und nimm einfach ein shinai auf. Wenn du das tust werden deine Beine und dein Rücken stark werden und du wirst in der Lage sein, echtes Kendo zu machen.“xxi
Also haben wir in dieser Ausgabe gesehen, wie die für die Zwerchfellatmung nötigen Elemente nicht nur in der statischen Kendohaltung shizen-tai sondern auch in der sitzenden Haltung seiza und in der dynamischen Haltung kamae präsent sind. Das weist darauf hin, dass Zwerchfellatmung ein wichtiger Teil der Kendo-Technik ist und auch, würde ich vorschlagen, impliziert, dass Zwerchfellatmung stillschweigend über die äußeren physikalischen Elemente der Körperhaltung auf einer frühen Stufe des Kendo-Trainings gelehrt wird. Wir haben auch gesehen, das viele angesehene Lehrer eindeutig die statische und dynamische Kendohaltung mit Zwerchfellatmung assoziieren, obwohl solche Lehrer dazu neigen, sich mit Zen zu beschäftigen oder ihr Kendo im Vorkriegssystem gelernt haben.
In der nächsten Ausgabe werde ich die Rolle der Atmung in der Ausführung von Grundübungen untersuchen und dabei auf suburi, kiri-kaeshi und kakari-geiko schauen.
i Ruhiges sitzen.
ii Stille Kontemplation
iii Abhängig von den Ideogrammen, die für das Schreiben von japanischen Worten benutzt werden, kann sich ihre Bedeutung in unterschiedlichen Maßen verändern. Seiza, welches sich auf die Körperhaltung bezieht, wird mit dem Zeichen geschrieben das „korrekt“ (sei) bedeutet, und mit dem Zeichen für „Sitzen“ (za) und bedeutet deswegen wörtlich „korrektes Sitzen“. Allerdings wird die Übung des ruhigen Sitzens in der seiza-Haltung vor und nach dem Training manchmal einfach als „seiza“ bezeichnet, welches mit dem Ideogramm für „ruhig“ oder „beruhigen“ (sei) und üblicherweise mit einem älteren Zeichen für „Sitzen“ (za) geschrieben wird. Wenn du das verwirrend findest dann sei versichert, das Japaner das auch finden!
iv Kobori Tetsuro, Okada Torajiro und Okada-shiki Seizahô in Iyashi wo Ikita Hitobito – Kindaichi no Arutanatibu (Heiler – ein alternativer Ansatz) S. 60-61 Tanabe Shintaro, Susumi Shinazono und Yumiyama Tatsuya edit. (Übersetzung von Steven Harwood)
v Siehe auch den Artikel von Inoue Hanshi in der ersten Ausgabe.
vi Kendo Reiho to Saho (Kendo-Zeremonie und –Etikette) S. 98 (Übersetzung von Steven Harwood)
vii Kojien
viii So wie Ogawa Chutaro (Hanshi 9ter Dan – verstorben) und Omori Sogen. Beide dieser berühmten Schwertkämpfer hoben die Rolle der Atemkontrolle im Kendo hervor.
ix Mokusô de Okonau Kokyuho in Kendo Nippon Monthly November 2001 S. 46-53
x Zen-Meditation im Sitzen.
xi Susokkan
xii Ken to Zen (Sword and Zen) S. 235 (Übersetzung von Steven Harwood)
xiii Tanita Saiitchi Kendo Shinzui to Shidooho Yoetsu (Die Essenz von Kendo und seine Lehrmethodik) S. 219
xiv Japanese-English Dictionary of Kendo
xv Ogawa Chutaro Kendo Kowa (Kendo-Vorträge) (Übersetzung von Steven Harwood)
xvi Im Kendo bedeutet der Ausdruck „Atem steigt“ (iki ga agaru) einen Zustand in dem man außer Atem gerät oder der Atem abgehackt wird.
xvii Some questions concerning breathing in Kendo S. 22 (Übersetzung von Steven Harwood)
xviii „Kendo Transformed by Breathing“ – Spezialausgabe von Kendo Nippon, Oktober 1992, S. 24
xix Nakayama Hiromichi; ein hervorragender Kendo-Lehrer vor dem zweiten Weltkrieg
xx Kendo Lectures S. 212-215
xxi „Kendo Transformed by Breathing“ “ – Spezialausgabe von Kendo Nippon, Oktober 1992, S. 33