(Gewinne, indem du sie zum Grübeln bringst!)
Tsukahara Bokuden (1490 – 1571)
Einer der größten Schwertmänner Japans und Gründer der Kashima Shinto-ryū, die wiederum die Entwicklung von vielen großen Fechtern sah.
„Er war gut aber nicht großartig. Sturer Narr, lief direkt rein!“
In der heihō-Welt ist Geistesabwesenheit ein angestrebter Zustand. Das bezieht sich natürlich nicht auf Vergesslichkeit sondern eher auf eine Verfassung, in der man frei von Ablenkung ist oder in der der Geist nicht mit irgendwelchen unbedeutenden Details beschäftigt ist. Im Kendo ist das vollentwickelste kamae das, in dem man in der Lage ist, sich frei und ungehemmt zu bewegen, um sich jeder Situation anzupassen. Die Augen sind auf einen Punkt fixiert aber in der Art, dass man in der Lage ist, das ganze Bild wahrzunehmen. Das ist enzan-no-metsuke, einen weit entfernten Berg anblicken. Der Gegner wird nicht ermessen können, wo man hinschaut oder wie man angreifen will und man selbst muss auf der andererseits bereit sein, sich in jedwede Richtung zu bewegen.
Das Gegenteil dieses Zustands ist „Grübeln“. Das bedeutet, mit den Gedanken woanders zu sein und seinen Geist auf ein besonderes Detail zu fixieren.
Dieser Geisteszustand wird im kamae offensichtlich. Wenn jemand auf etwas fixiert ist, werden seine Schultern und Arme üblicherweise angespannt und steif und er wird direkt auf das schauen, was er überlegt anzugreifen. Keine Chance!
Deswegen ist ein Weg, einen Gegenspieler zu besiegen, ihn allmählich dazu zu bringen, sich durch verstärkte Grübelei zu blockieren. Es gibt über Tsukahara Bokuden eine interessante Episode in der Abhandlung Bugei Shōden.
Da gab es einen ziemlich erfahrenen Schwertfechter, der danach strebte, seinen Wert zu beweisen, indem er den berühmten Bokuden zu einem Duell herausfordert und ihn besiegt. Bokuden akzeptierte den Möchtegern-Haudegen und machte sich dann daran, den Kampfstil seines zukünftigen Gegners zu untersuchen. Er erkannte bald, dass der fragliche Fechter die meisten seiner Kämpfe dadurch gewonnen hatte, dass ziemlich unorthodoxe linkshändige kamae benutzte, bei dem er nur mit einer Hand angriff.
Als der Zeitpunkt des Kampfes nahte, verkündete Bokuden plötzlich seinem Gegner:“Der linkshändige Stil, den du anwendest, ist eigentlich ziemlich feige und deswegen lehne ich es ab, gegen dich zu kämpfen.“ Sein Gegner erwiderte:“Hör zu, Kollege, ich benutze das kamae, das ich will und es hat nichts mit dir zu tun, also lass uns anfangen!“ Bokuden beharrte auf seiner Ablehnung aber der Herausforderer bestand trotzdem darauf, das Bokuden sein Wort hält und ihn zum Kampf trifft, oder sich geschlagen gibt. Nach einigem Hin und Her unseres Helden über das memmenhafte linkshändige kamae sollte der Kampf schließlich beginnen.
Der Herausforderer nahm treu das ruchlose linkshändige kamae ein. Bokudens berühmte Technik ichi no tachi war allerdings flink und er schaffte es leicht, den ersten Treffer mit einem Hieb ins Gesicht zu landen. Er forderte seinen Kontrahenten erneut heraus, in dem er die Legitimität seines kamae in Frage stellte. Da war der Herausforderer überzeugt, dass Bokuden eigentlich von seinem kamae eingeschüchtert ist und das diente dazu, sein Selbstvertrauen aufzupolstern. Er dachte, dass die Zeit reift ist, und ließ seine geheime Linke-Hand-Technik los, genauso wie es Bokuden geplant hatte. Er brachte seinen Gegner dazu, sich in seine eigene Technik zu verbeißen und deswegen war er nicht in der Lage, dass Gesamtbild zu sehen. Unnötig zu sagen, dass Bokuden einen leichten Sieg errang. „Er war gut“, gab Bokuden zu, „aber er war nicht großartig.Sturer Narr, lief direkt rein!“
Ähnliche Beispiele in größerem Maßstab können in Japans Geschichte ständiger Kriege, der Sengoku-Periode, nachgelesen werden. Der Kriegsherr Mori Motonari besiegte Sue Harukata auf einer Insel mit dem Namen Miyajima (Teil des heutige Hiroshima) und wurde dann eine der dominanten Kräfte in Westjapan.
Harukata hatte eine mächtige Armee mit vielen Kriegern. Motonaris Streitmacht verblasste dagegen. Motonari dachte bei sich, dass der einzig Weg, wie er Harukatas überlegene Armee vielleicht besiegen könnte, wäre, ihn irgendwie dazu zu bringen, auf einem engen Stück Land zu kämpfen, um dadurch seine Beweglichkeit zu beschränken. Miyajima (Itsukushima) bot den perfekten Ort für diese List. Das Problem war, wie man Harukata dazu bringen könnte, unbewusst auf seinen Plan einzugehen. Motonari war mittendrin, eine Burg auf der Insel zu bauen und er verbreitete geschickt, dass er besorgt wäre, dass die Burg noch nicht fertig ist. „Meine Güte“, lamentiert er, „wenn Harukate über unsere derzeitige Situation Bescheid wüsste, wären wir erledigt. Die Burg ist noch nicht fertig und wir wären auf dem Seeweg abgeschnitten. Wir müssen ihn koste es was, was es wolle, davon abhalten vor der Fertigstellung der Burg auf die Insel zu kommen!“ Mit all den Spionen im Umlauf dauerte es natürlich nicht lange, bis dieses saftige Stück hochgeheimer Information Harukatas Ohren erreichte. Er entsandte sofort eine Streitmacht von 20000 Mann und brach auf, um die Beute in Miyajima zu erlangen.
Motonari führte eine Streitmacht von 4000 entschlossenen Truppen und sie nahmen es mit der viel größeren Streitmacht zu ihren Bedingungen auf, indem sie Harukata auf ein Schlachtfeld zwängten, auf dem er nicht manövrieren könnte. Motonari errang einen historischen Sieg.
Hier sehen wir also ein weiteres Beispiel von einem Feind, der besiegt wurde, weil er überredet wurde, sich auf einen Aspekt zu konzentrieren, anstatt das Gesamtbild zu sehen. Im heihō-Sinn ist es also überhaupt nicht schlimm „geistesabwesend“ zu sein.
Erschienen in: Kendo World Magazine 1.4, 2002, S. 25 – 26
Autor: Alex Bennett
Übersetzung: Stefan Alpers
Veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis des Kendo World Magazine