Erschienen in : Kendo World Magazine 1.2 2002
Autor: Steven Harwood
Übersetzung: Stefan Alpers
Veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis des Kendo World Magazine
Ich schrieb in der ersten Ausgabe, dass ich in erster Linie auf die Atemkontrolle schauen wollte, so wie sie in der Kendotechnik auftaucht, und da „Technik“ Bewegung voraussetzt mag es fremd erscheinen, dass ich mich in dieser Ausgabe auf eine Diskussion über die Kendohaltung und –kleidung beschränken werde. Allerdings finde ich es wichtig daran zu erinnern, dass sich die technische Theorie, Ethik und Ästhetik von Kendo nicht von der japanischen Gesamtkultur getrennt entwickelte. Wir können generell in japanischen Künsten eine Tendenz beobachten, Körper und Geist oder Theorie und Praxis nicht zu trennen – lieber Monismus als Dualismus. So wie ein Vorgang oder ein Prozess in seiner Gesamtheit gesehen wird, die einzelnen Teile des Vorgangs als untrennbar verbunden und gleich wesentlich angesehen werden, so werden Unterschiede wie einfach und fortgeschritten oder Stillstand und Bewegung weniger wichtig. – eher ein ganzheitlicher als ein analytischer Ansatz. In der Tat fühlen sich einige nicht-japanische Kendo-Übende, die vielleicht mehr an einen systematischen Ansatz gewöhnt sind, frustriert von den traditionellen Kendo-Lehrmethoden, wo sie sich unsicher über den Zweck einer bestimmten Übung sind. Wenn man zum Beispiel mit Gewichten Bizepsübungen macht, weiß man, dass man arbeitet, um einen bestimmten Muskel zu stärken. Aber diese Sorte von zielgerichtetem Training ist für japanische Künste nicht charakteristisch – Kendo suburi haben viele Ziele, wozu die Korrektur der Haltung, Stimmgebung, Schlagtechnik und Atemkontrolle gehören – sogar psychologisches Training. Also können die Prinzipien in japanischen Künsten auf eine undurchsichtigere, weniger klare Weise gelehrt werden. Da ich mich damit beschäftige, wie Atemkontrolle im Kendo gelehrt wird, muss ich folglich über die einfache „So musst Du atmen.“-Erklärung (wenn es sie denn überhaupt gibt) hinausschauen und Eigenschaften des Kendotrainings berücksichtigen, wo Atemkontrolle ein begleitender Aspekt ist. Und so werde ich diesmal bei den Grundlagen starten und einen Blick auf die Beziehung zwischen Haltung, Kleidung und Atemkontrolle werfen.
Körperhaltung und Atmung
Wie ich letztes Mal geschrieben habe postuliert das japanische Zen ein ganzheitliches Training, in dem Haltung und Atmung untrennbar für die Erzeugung einer psychologischen Änderung verbunden sind. Diese Verbindung zwischen Haltung und Atmung wird auch in den japanischen Künsten anerkannt:
„Korrekte Haltung hat nur Sinn als Basis für korrekte Atmung: korrekte Atmung wird aus korrekter Haltung natürlich fließen.“i
Daher sollte eine Untersuchung der Kendohaltung viel über die Atemtechnik beim Kendo offenbaren – also was ist Kendohaltung? Ich werde mich hier auf die grundlegende „statische“ Haltung des Kendo beschränken, im Gegensatz zur „dynamischen“ Haltung (kamae). Die Grundhaltung im Kendo wird als shizen-tai (wörtlich „natürlicher Körper“ – ein Begriff der zuerst vom Begründer des modernen Judo, Kano Jigoro, geprägt wurde) bezeichnet und ist auf folgende Art definiert:
„Eine fundamentale Kendohaltung, die stabil, ausgewogen und natürlich ist, aus der man seinen Körper bewegen oder aus der man auf eine Bewegung des Gegners antworten kann, schnell, genau und unbehindert. Der Schlüssel zu dieser Haltung ist, die Füße etwas nach rechts und links zu setzen, so dass die Zehen nach vorne zeigen, und den Schwerpunkt zwischen den zwei Beinen zu halten, sowie den Rücken natürlich zu strecken, die Hüften einzuziehen, die unteren Bauchmuskeln leicht anzuspannen, dass Kinn einzuziehen, aufrecht geradeaus zu schauen, den Nacken und die Schultern zu entspannen und die Arme leicht am Körper zu halten.“ii
Oya Minoru, (Kyoshi 7. Dan) Professor an der Internationalen Budo Universität, fasst die Kendo-Grundhaltung als eine Körperhaltung zusammen, in der der gesamte Körper entspannt ist; ein natürlich gebogener Rücken mit etwas Spannung im unteren Bauch; lockere Schultern und gerader Halsiii. Wenn wir diese Thesen berücksichtigen sehen wir, dass beide die Gewichtung darauf legen, den unteren Bauch stramm zu halten aber den Oberkörper zu entspannen. In der Kendoausbildung wird uns immer wieder gesagt uns zu entspannen (nahezu immer unseren Oberkörper und die Arme – wann wurde einem zuletzt gesagt, die Beine zu entspannen?), dies wäre eine Voraussetzung für die gleichmäßige und schnelle Ausführung der Technik. Also ist diese Grundhaltung, die einen entspannten Oberkörper erfordert, die ideale Basis für gute Technik. Und wenn wir akzeptieren, dass Atmung und Haltung untrennbar verbunden sind, so ist denkbar zu vermuten, dass gute Technik ebenfalls korrekte Haltung voraussetzt. Mitsuhashi Shuzo (Hanshi 8. Dan) lehrte, dass Zwerchfellatmung essentiell war um gute Haltung und damit korrekte Technik zu erreichen:
„Um den Unterbauch stramm zu bekommen und die Muskeln zu entspannen benötigt man Zwerchfellatmung. Und die Schultern senken sich durch Zwerchfellatmung. Dies ist grundlegend um korrekte Technik auszuführen.“iv
Wir sehen also, dass im Kendo Körperhaltung, Atmung und Entspannung verknüpft sind und wichtig sind, um korrekte Technikausführung zu erreichen. Es gibt eine berühmte konfuzianische Lektion, die in akademischen Arbeiten über Kendo oft zitiert wird – das einfache Männer durch ihre Kehlen atmen, wahre Männer jedoch durch ihre Füße atmen. Natürlich ist es unmöglich zum Atmen die Füße zu benutzen aber diese Passage wird interpretiert, dass sie sich nicht ausschließlich aufs Atmen bezieht, sondern eher auf einen Zustand, in dem die Körperhaltung ausgeglichen und entspannt ist und der Schwerpunkt sehr niedrig istv. Also können wir sehen dass Haltung und Atmung als so tief verbunden erachtet werden, dass sie als Begriffe geradezu untereinander austauschbar sind. Da korrekte Atmung aus korrekter Körperhaltung fließen wird und umgekehrt korrekte Atmung essentiell für korrekte Haltung ist, ist es in dem monistischen Lehransatz des Kendo unmöglich und irrelevant zu sagen, was zuerst kommt – sie sind beide essentielle Elemente der ganzen Technik. Da die Haltung ein sichtbares Element ist, kann es jedoch in den frühen Stufen des Kendo leicht korrigiert werden (anders als das nebulösere und subjektive Element der Atemtechnik). Folglich möchte ich vorschlagen das, wenn einem Anfänger die grundlegende Kendohaltung gelehrt wird, er auch stillschweigend in die Grundlagen der Zwerchfellatmung eingewiesen wird.
Kleidung und Atmung
Kendo-hakama und –keikogi sind essentielle Kleidungsstücke, die jeden Tag von den Kriegern im prä-Meiji Japan getragen worden sind. Ich will nicht zu weit vom Weg abirren – dies ist schließlich ein Kendo-Magazin – aber ich denke das es nützlich wäre, für einen Moment über die charakteristischen Unterschiede der Kleidung des westlichen 19ten Jahrhunderts und japanischer Kleidung nachzudenken – und was uns das über die Haltung, und also auch Atmung, aus einer vergleichenden kulturellen Perspektive sagen könnte. Westliche Kleidung aus der Zeit: Zylinderhüte; lange Mäntel; enge Hosen mit Gürteln auf Hüfthöhe, anscheinend dazu entworfen, dass westliche Ideal der „invertierten Dreiecks“-Haltung zu betonen, in der die Schultern nach hinten gezwängt, die Brust nach außen geschoben und der Bauch eingezogen ist. Traditionelle japanische Kleidung dagegen, mit seinen weiten Hosen und passenden Jacken, erscheint völlig im Einklang mit einer anderen Betrachtungsweise von Körperhaltung, die eher Breite als Höhe betont, und mit einem viel tieferen Schwerpunkt. Und so scheint es selbstverständlich, dass Ideen von Haltung und Atmung eng verbunden wären. Kendokleidung und –rüstung reflektieren diese Beziehung – und da wir gesehen haben, dass Haltung und Atmung untrennbar verbunden sind, bedeutet das, dass Kleidung und Atmung irgendwie verbunden sind. Ich möchte eine Anzahl von Elementen betrachten, die diese Verbindung demonstrieren und so weiter illustrieren, dass Betrachtungen von Atemkontrolle Kendo in seinen elementarsten Stufen durchdringt.
Im Vorkriegskendo war es normal einen obi, oder Schärpe, zu tragen, gerade unter dem Bauchnabel, über dem keikogi und unter dem hakama – und das findet sich nach wie vor im Kyudo, Iaido und klassischem Kenjutsu, und auch, wenn diese Kleidung bei formalen Nicht-Budo-Veranstaltungen getragen wird. Also hat sich das moderne Kendo, bei dem der hakama direkt auf dem keikogi gebunden wird, von dem traditionellen Weg, diese Kleidung zu tragen, getrennt. Diese Trennung von Traditionen wurde von vielen hochrangigen Kendoka kritisiert – und diese Kritik beschränkt sich nicht auf die Ästhetik – sie wurde auch auf einen damit verknüpften Niedergang in korrekter Haltung und Atemtechnik gerichtet. Professor Baba Kinji (Kyoshi 7. Dan ) von der Kokushikan Universität befürwortet eine Rückkehr zum Tragen eines obi – weil er sowohl eine „Basis“ für hakama und dogi liefert, als er auch, und noch wichtiger, sowohl objektiv und subjektiv, den Unterbauch (seika-tanden) hervorhebt.
Professor Baba argumentiert, dass das Tragen eines obi der erste Schritt zur Bewegung und Atmung aus dem Unterbauch heraus ist – und so wichtig zur Erreichung korrekter Technik istvi. Da viele Kendoka nun keinen obi tragen, kann dieses ihre Fähigkeit, Zwerchfellatmung auszuführen, direkt beeinflussen. Der koshi-ita (das feste Rückenteil des hakama) ist dazu gedacht, obenauf dem obi zu liegen und der koshi-bela (der Plastikspachtel an der Rückseite des hakama) ist dazu gedacht, in den obi gesteckt zu werden um zu verhindern, dass der hakama herunterrutscht. Weil ein obi nicht länger getragen wird, werden die Bänder des hakama oder des tare zu fest gebunden, um den hakama am Rutschen zu hindern, und dieses kann die freie Bewegung des Unterleibes hemmen.
Der hakama und das tare werden oft auf Hüfthöhe gebunden, was inkorrekt ist, da es einen tiefen Schwerpunkt nicht betont und Zwerchfellatmung behindert. Es ist traditionell den hakama so zu binden, dass der Knoten unter dem Bauchnabel ist, so dass sich der Unterleib darüber ausdehnen kann. Ebenso sollte das tare nicht zu hoch oder zu fest gebunden werden. Es sollte tief und locker genug gebunden werden um dem Unterleib zu erlauben, sich während des Atmens zu bewegen. Dies scheint ein besonderes Problem für Frauen zu sein, die, weil ihre Hüften breiter als ihre Bäuche sind und bei denen deswegen ein lockeres tare auf jeden Fall hoch rutschen wird, gezwungen sind, ihre tare auf Hüfthöhe zu binden und damit ihren Schwerpunkt anzuheben und Zwerchfellatmung zu behindern.
Wir sehen also, dass die Kendokleidung die shizen-tai-Betonung auf den Unterkörper reflektiert – den unteren Körper. Aber was ist mit dem Oberkörper? Ich bin sicher, dass viele von euch gewarnt worden sind sicherzustellen, dass vor Prüfungen der keikogi faltenfrei und sorgfältig in den hakama gestopft ist. Auf den ersten Blick erscheint das als ästhetische Überlegung – es sieht elegant aus. Aber eine Haltung, die den Unterkörper betont, muss folglich den Oberkörper nicht betonen und ich behaupte, dass ein keikogi, der sich nicht aufbauscht, genau das tut – er erlaubt den Prüfern zu sehen, dass der Rücken gerade und die Hüfte nach vorne geschoben ist. Und ob man diese korrekte Haltung hat spricht Bände über sein Kendo als Ganzesvii.
Wir haben also gesehen, dass schon bevor man ein Shinai aufnimmt, die Elemente von Zwerchfellatmung in seinem Kendo verstärkt werden. Der Umstand, dass ein Lehrer Atmung noch nicht einmal erwähnt hat, ist irrelevant – die Lehrmethode im Kendo ist monistisch und muss nicht zwischen Haltung und Atmung unterscheiden. Wir haben gesehen, dass Elemente, die an der Oberfläche als rein ästhetisch oder zufällig erscheinen, Teil des ganzheitlichen Ansatz des Kendo sind, Technik zu erlernen – Technik in Tradition verkörpert. Wir sind auf einer Stufe angekommen, wo die Haltung es einem ermöglicht, korrekt zu atmen und den Oberkörper zu entspannen – und die Kleidung verstärkt diese korrekte Haltung. Das nächste mal möchte ich betrachten, wie diese Haltung/Atmung im mokusô (Meditation vor dem Training) verstärkt wird; auf die dynamische Haltung im Kendo (kamae) schauen und die Verbindung zwischen Fußarbeit und Atmung untersuchen.
i Sato Tsuji, Budo no Shinzui, S. 19 (Übersetzung von Steven Harwood)
ii Japanese-English Dictionary of Kendo (Alljapanische Kendo-Föderation) S. 98 (Übersetzung ins Deutsche von Stefan Alpers)
iii Oya Minoru, Some questions concerning breathing in Kendo S. 19 – 20 (Übersetzung von Steven Harwood
iv Mitsuhashi Shuzo, Fudochi (Unmoveable Mind – The teachings of Mitsuhashi Shuzo) S. 370
v Sato Tsuji, Budo no Shinzui S. 95-96 und Inoue Masataka, Seigan no Bunka, S. 229-230
vi Baba Kinji, Kendo – Dento no Gijutsu, S. 18
vii Hier kam Steven Harwood in Übersetzungsschwierigkeiten . Im Japanischen wird das Wort für Rücken oder Hüfte „koshi“ idiomatisch benutzt, um sowohl physikalische und psychologische Zustände zu bezeichnen. Also kann „koshi-tsukuri“ („Stelle Deine Hüfte auf“(?)) sowohl Verbesserung der Körperhaltung als auch die Verbesserung des Geistes bedeuten; „koshi wo ieru“ (wörtlich „Setze Deinen Rücken ein“) kann bedeuten, den Rücken durch das „Einrücke“ der Hüfte zu wölben oder furchtlos und standfest zu sein (das Gegenteil „koshi wo nuku“ – „Die Hüften weglassen“ bedeutetet im allgemeinen, feige zu sein) und „koshi ga kimaru“ (wörtlich „Die Hüften sind bestimmt“) bedeutet, dass die Haltung perfekt ist, allerdings deutet es nicht nur physikalische sondern auch psychische Stärke an. Also kann ein erfahrener Lehrer dein Kendo durch einen kurzen Blick auf Deine Haltung beurteilen – Also steck den keikogi rein!