(Der Weg des Krieges ist der Weg des Friedens)
Iizasa Chōisai (1387 – 1488)
Gründer der Katori Shinto-ryū und demzufolge einer der Pioniere der traditionellen japanischen Schwertkunst.
„Sieg über seinen Feind ist wichtiger, als seinen Feind zu töten. Der Weg des Krieges ist der Weg des Friedens. Strebe danach, den Sieg zu erlangen ohne Gewalt anzuwenden.“
In Japan gibt es das alte Sprichwort „Krieg aus dem Osten, Musik aus dem Westen.“ Dies ist eine Unterscheidung zwischen der anspruchsvollen Hofkultur, die in der mittelalterlichen Periode im westlichen Japan, nämlich Kyoto und den umgebenden Regionen, angesiedelt war, und den dazu entgegengesetzten rauhen und stets einsatzbereiten Kämpfern aus der Kanto Region im Osten von Japan (Azuma no Kuni). Ostjapan ist die Heimat von Schreinen wie Kashima Jingu und Katori Jingu, wo die bushi die Kriegsgötter verehrten. Azuma no Kuni wird als Geburtsort der japanischen Kampfkultur angesehen.
Iizasa Chōisai wurde 1387 in Shimosa (heute bekannt als Präfektur Chiba) geboren. Von jungen Jahren an übte er begeistert Schwert- und yari-Techniken und durch seine kämpferischen Heldentaten in den vielen Kämpfen, an denen er teilnahm, gelang es ihm immer, unter seinen Ebenbürtigen zu glänzen. Er wurde so bekannt, dass er sogar in die Hauptstadt gerufen wurde, um Ashikaga Shōgun zu dienen.
Es war eine Zeit großen Aufruhrs und das Haus Chiba, zu dem er gehörte, wurde zerstört und seine Mitglieder verstreuten sich in alle Winde. Da er seine Schwäche in dieser Welt spürte, wagte sich Chōisai im zarten Alter von ungefähr 60 zum Fuße des Katori Schreines und machte sich daran, die Bedeutung von hyōhō (Kampfkunst oder -strategie) zu überdenken. Tag und Nacht stählte er seinen Geist und Körper mit einem harten Regime selbstauferlegten Trainings, bis er das verborgene Geheimnis des Schwertkampfes sah. Daraufhin fuhr er fort, seine eigene Schule zu formen, die er, weil er seine Erleuchtung als direkte Übermittlung der Gottheit des Katori Schreins interpretierte, Tenshin Shoden Katori Shinto-ryū nannte.
Die Offenbarung, die Chōisai erfuhr, war die Erkenntnis, dass „der Weg des Krieges der Weg des Friedens ist. Das ist der Weg, Sieg ohne Kampf zu erlangen.“ Der Begriff heihō (Weg des Friedens) ist in anderen Kampftraditionen nicht unüblich. Tatsächlich wurde dieses Ideal von vielen Kriegern angestrebt und er war keineswegs der einzige Anhänger des Kampfweges, um diese Offenbarung zu erreichen. Seine legendären Taten zeigen allerdings, dass er ein tiefes Verständnis davon hatte, was es bedeutete, ohne Konfrontation zu gewinnen.
Nachdem er im ganzen Lande wegen seines Kampfkönnens berühmt geworden war, stattete ihm mancher Krieger einen Besuch ab, um etwas von seiner Fertigkeit und seinem Wissen zu erlernen. Von diesen reisenden Haudegen waren einige nicht so sehr darauf aus, von ihm zu lernen, sondern Chōisais mächtigen Ruf zu vernichten und damit ihren eigenen zu erhöhen. Wenn er von solchen aufdringlichen Herausforderern konfrontiert wurde, zog sich Chōisai üblicherweise leise in einen kumazasa Bambushain zurück und setzte sich auf die Spitzen der Halme (sasa albo-marginate – ein niedriger, gestreifter Bambus). Der Bambus erschlaffte oder knickte nicht und es schien, als würde er über den Halmen schweben. Dann lud er den Herausforderer ein, seinem Beispiel zu folgen und sich ihm auf seinem Bambusstuhl anzuschließen. „Wenn du tun kannst, was ich tun kann, werde ich deine Herausforderung zu einem Kampf annehmen.“, informierte er verblüffte Gegenspieler. Misstrauisch, erstaunt oder verängstigt zogen sie sich zurück und verloren völlig ihren Kampfeswillen.
Chōisai war überzeugt, dass er im Falle eines Kampfes nicht verlieren würde, aber er sah keinen Sinn darin, einen Gegner mit offensichtlich schlechterer Fertigkeit zu besiegen. So etwas zu tun würde nur Feindschaft erzeugen und so ein schlechtes Gefühl gilt es zu vermeiden. „Feindseligkeit wird von Feindseligkeit angefacht und der Teufelskreis wird ständig weitergehen. Solange Feindseligkeit nicht ausgeräumt wird, wird kein Frieden herrschen. Das ist der natürliche Gang der Dinge.“
In der Shinto-ryū wird dieses Konzept immer noch als „Bambuslehre“ (kumazasa no oshi) verehrt. Es geht nicht darum, sich zurückzuziehen, um einem gefürchteten Gegner auszuweichen. Wer hätte schließlich gefürchteter sein können als Chōisai, einer der berühmtesten Krieger seiner Zeit?
Es gibt eine interessante Anekdote aus dem zweiten Weltkrieg mit dem berühmten General Yamamoto Isoroku. Er war ein Befürworter der Waffenreduzierung und war dagegen, eine Allianz mit Deutschland und Italien (Dreimächtepakt) einzugehen. Wegen dieser Einstellungen, die den in dieser Zeit vorherrschenden ultra-nationalistischen, militaristischen Einstellungen widersprachen, wurde er von vielen geächtet, die ihn als Feigling, als schwach und unpatriotisch beschuldigten. Eines Tages beschloss eine Gruppe von Kollegen, zu ihm zu gehen und ihn offen mit seinen Ansichten zu konfrontieren, um ihn hoffentlich von den Fehlern in seiner Auffassung zu überzeugen. Es wäre nicht gut, über einen kaiserlichen General zu verfügen, der der öffentlichen Meinung gegen den Strich ging. Sie betraten sein Quartier und fanden ihn auf dem Kopf stehend vor. Augenscheinlich war er in der Kunst des Kopfstehens ausgebildet und war in der Lage, in dieser unbequemen Position für Stunden bleiben zu können. Seine Möchtegern-Ankläger waren verblüfft und zogen sich eingeschüchtert zurück, da sie nicht wussten, wie sie auf diesen bizarren Anblick reagieren sollten.
General Yamamoto war sich ihrer Beschwerden wohl bewusst und musste nicht weiter darüber informiert werden. Es hätte bloß damit geendet, dass er seine Haltung hätte wiederholen müssen und solcher Streit würde weitere Unbequemlichkeiten und eine feindselige Atmosphäre schaffen. Auf diese Art wurde das Problem vermieden und es folgte keine unnötige Feindschaft. Das ist die Essenz von kumazasa no oshie.
Chōisai starb im feierlichen hohen Alter von 102 Jahren und seine Tradition wurde von berühmten Kriegern wie Matsumoto Bizen-no-Kami, Tsukahara Bokuden und Kamiizumi Ise-no-Kami fortgesetzt. Sie wird bis heute in im dōjō in Katori praktiziert und der Bambushain dahinter ist so ausgedehnt wie eh und je.
Erschienen in: Kendo World Magazine 1.2, 2002, S. 64 – 65
Autor: Alex Bennett
Übersetzung: Stefan Alpers
Veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis des Kendo World Magazine