(Unzerstörbarer Geist)
Kamiizumi Ise-no-Kami (1508 – 1573)
Gründer der Shinkage-ryū, historisch eine der ersten und wichtigsten japanischen Kampftraditionen.
„Selbst wenn die bevorstehende Aufgabe dich wie einen kompletten Idioten aussehen lässt, selbst wenn Flammen über deinem Körper zusammenschlagen oder selbst wenn er von einem großen Felsen zerquetscht wird, kann nur ein unzerstörbarer Geist dir den Mut liefern, Gutes zu tun.“
Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, ob Ise-no-Kami jemals an einem Duell teilgenommen hat. In Tsukahara Bokudens Fall existieren noch 19 Aufzeichnungen und Miyamoto Musashi war angeblich in 60 Duellen ungeschlagen und bekannt dafür, dass er niemals in seiner Karriere verloren hat. Ise-no-Kamis Ergebnisliste ist also im Vergleich bei weitem nicht so beeindruckend wie bei vielen seiner Kontrahenten. Trotz allen Anscheins war jedoch Ise-no-Kamis Können in den Kampfkünsten ohne Zweifel sehr bemerkenswert. Der Grund dafür war, dass die Herausforderer sich nicht mit ihm „duellierten“, um ihre Fertigkeiten, wie allgemein üblich, in einem Kampf bis zum Tod zu erproben, sondern mit dem Ziel, Unterricht von ihm zu erhalten. Gleichfalls bedeutete Ise-no-Kamis Streben, heihō in einen Weg der Selbstverwirklichung zu erheben, ebenfalls, dass er trotz seiner Überlegenheit seine Herausforderer/Schüler nicht töten würde. Es war allerdings immer offensichtlich, wer der Sieger gewesen wäre, wenn der Kampf bis zum Tod gegangen wäre.
Diese Einstellung von „Sparring mit statt Aufspießen von Herausforderern“ gipfelte in der Entwicklung des shinai (Schwertreplik aus Bambus). Das von ihm entwickelte shinai war im Grunde ein mit einer Lederhülle umgebener ausgefranster Bambusstock und wurde fukuro-shinai genannt. Bis zur Erfindung des fukuro-shinai wurden Training und Wettkampf mit einem Holzschwert (bokken) durchgeführt. Manchmal auch mit echten Klingen, mit gräulichen Ergebnissen. Selbst wenn man die Schlachten mal beiseite lässt: Sogar das Training wurde oft zu einer Frage von Leben und Tod und hielt die Kämpfer davon ab, Techniken voll auszuführen, aus Angst, die Partner zu töten oder zu verstümmeln. Ise-no-Kamis Entwicklung vertrieb solche Sorgen und die Adepten waren nun in der Lage, nach Herzens Lust zu hauen und zu stechen, wobei die einzigen Bedenken fiese Blutergüsse und verletzter Stolz betrafen, im Gegensatz zu zufälliger Enthauptung.
Neben dem offensichtlichen Vorteil von reduzierten Lebensversicherungsprämien wurde die Nutzung des fukuro-shinai deswegen von vielen gelobt, weil es effektivere und realistischere Trainingsmethoden bot, da es dem Anwender erlaubte, den Schlag tatsächlich abzuschließen. Wenn bokken oder Klingen benutzt wurden, wurde der Angriff kurz vor dem Kontakt gestoppt. Das fukuro-shinai bot die Mittel für Vollkontakt Sparring oder Kata-Übung.
Dann wieder wurden Zweifel laut über die Effektivität des fukuro-shinai hinsichtlich Gefechtsbereitschaft und Verhalten unter Stress in einer Lage, in der es um Leben oder Tod geht, wenn man die Gefahr und die Spannung, die beim Üben mit echten Waffen entsteht, wegnimmt. Es gibt aber eine interessante Geschichte über eine Reise von Ise-no-Kami, die zeigt, dass das nicht der Fall ist. Er war in der Nähe des Myokoji Tempels in Owari (heutige Präfektur Aichi), als er auf eine Gruppe aufgeregter Dorfbewohner stieß, die ein Bauernhaus umzingelten. Offenbar war ein Landstreicher in das Haus eingebrochen, hielt ein junges Kind als Geisel und drohte es zu töten, wenn sich jemand näherte. Die Dorfbewohner waren verzweifelt und hatten keine Idee, was sie machen sollten.
Ise-no-Kami verkündete, dass er das Kind zurückbringen werde. Er bat einen vorbeikommenden Mönch, ihm seine Roben zu leihen und ließ sich anschließend von seinem Schüler Hikita Toyogoro die Haare abrasieren. Mit ein paar Reisbällen in der Hand ging er auf das Haus zu.
„Zurück! Geh zurück, sage ich! Ich habe ein Schwert und ich habe keine Angst, es zu benutzen!“
Ise-no-Kami ignorierte die Drohungen des Landstreichers und ging weiter auf das Haus zu.
„Lieber wandernder Geselle. Ich bin nur ein bescheidener Mönch und ich fürchte, dass das Kind Hunger hat. Um Buddhas Passion, bitte erlaube mir, dir und dem Kind einen Reisball anzubieten, um die Hungerqualen zu lindern.“
Nachdem er dem Kind einen Reisball zugeworfen hatte, wandte sich Ise-no-Kami an den Landstreicher und schlug vor, dass er auch einen nähme. Dann warf er ihm auch einen Reisball zu, den der Landstreicher gedankenlos fing und dabei sein Schwert loslies. Guter Fang, dumme Bewegung… Ise-no-Kami griff mühelos seinen Arm, warf ihn zu Boden und nagelte ihn dort fest. Die Belagerung war vorbei und nicht ein Tropfen Blut war vergossen.
Der Mönch war von Ise-no-Kamis Einfallsreichtum und perfekter Ausführung fasziniert. Nachdem er ihm seine Roben zurückgegeben hatte, sagte dieser:„Du sahst aus und benahmst dich wie ein Mönch und du warst furchtlos und entschlossen. Du hast dich für einen Anderen in Gefahr gebracht unter Missachtung deines eigenen Lebens. Dein selbstloses, unerschütterliches Verhalten deutet darauf hin, dass du ein erleuchtetes Wesen bist. Du hast einen Zustand erreicht, in dem Zen und Schwertkunst eins sind.“
Ise-no-Kami antwortete:„Mönch, Kamerad, der springende Punkt der Kampfkünste ist, seine Fähigkeiten einzusetzen, um anderen zu helfen. Selbst wenn die bevorstehende Aufgabe dich wie einen komplette Idioten aussehen lässt (nicht das ich andeuten möchte, dass du wie ein Idiot aussiehst), selbst wenn Flammen über deinem Körper zusammenschlagen oder selbst wenn er von einem großen Felsen zerquetscht wird, kann nur ein unzerstörbarer Geist dir den Mut liefern, Gutes zu tun.“
Da gab der Mönch Ise-no-Kami seine Robe als symbolische Geste, dass er tatsächlich ein erleuchtetes Wesen sei. Es wird gesagt, dass Ise-no-Kami, während der Mönch wie Gott ihn schuf nach Hause ging, die Robe liebevoll hütete und sie sogar einem seiner Schüler hinterließ.
Trotz seiner tödlichen Kampffertigkeiten, mit denen er seine Feinde besiegen und zerstören könnte, strebte Kamiizumi Ise-no-Kami Fujiwara-no-Hidetsuna (sein voller Name) immer danach, die in dieser Geschichte illustrierten Prinzipien zu perfektionieren. Er lehrte seinen Studenten, dass die Techniken seiner Schule, der Shinkage-ryū, streng genommen unschlagbar seien. Die Stärke seiner Schule und der von ihm perfektionierten Techniken entsprang nicht darin, unnötig das Leben anderer zu nehmen, sondern eher aus dem wahren Mut, der benötigt wird, jeden unnötigen Konflikt zu vermeiden.
Erschienen in: Kendo World Magazine 3.1 2004, S. 72 – 73
Autor: Alex Bennett
Übersetzung: Stefan Alpers
Veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis des Kendo World Magazine