Erschienen in : Kendo World Magazine 1.1 2001
Autor: Steven Harwood
Übersetzung: Stefan Alpers
Veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis des Kendo World Magazine
Kurz nach dem Beginn meines MA (Master of Arts) in Comparative Sports Culture an der internationalen Budo Universität in Chiba, Japan, wurde ich gefragt, über was ich meine Magisterarbeit zu schreiben plante. Da der Kurs über zwei Jahre ging dachte ich, dass ich genug Zeit zur Untersuchung hätte (und meine Meinung vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt ändern würde), also sagte ich, vielleicht ein wenig schlagfertig, dass ich gerne einen Blick auf die Atemkontrolle im Kendo werfen würde. Das führte zu etwas Unbehagen bei meinem Tutor Professor Uozumi Takashi, der anmerkte, dass das eine ziemlich schwierige Aufgabe wäre.
Zu der Zeit war ich seit zehn Jahren in Kendo involviert und 18 Jahre in japanischen Kampfkünsten. Ich hatte bemerkt, dass, obwohl es viele Lehrer gab, die behaupteten, dass Atemkontrolle oder korrektes Atmen essentiell sind, wenige von ihnen es anscheinend wirklich lehrten – wenigstens nicht als Teil einer Technik. Einige würden es in Meditationstechniken wie Za-Zen oder Yoga trainieren, die Atemkontrolle betonen, und schlugen vor, dass ich das auch tun sollte. Wie auch immer, ich war nicht in der Lage, die Verbindung zwischen diesen extrem statischen Aktivitäten und den Ansprüchen, die an die Atmung bei einer außergewöhnlich dynamischen Aktivität wie Kendo gestellt werden, zu sehen.
Atemkontrolle wird also von Übenden auf höchstem Kendo-Level betont aber was ist mit jenen von uns am Beginn oder in der Mitte unserer Kendo-Laufbahn? Worin, wenn überhaupt, offenbart sich diese Zwerchfellatmung in den Techniken, die wir ausüben? Aus Mangel an mündlicher Anleitung wandte ich mich zu geschriebenem Material – und das war der Start meiner MA-Untersuchung. Allerdings wurde bald klar, dass sehr wenig über dieses Thema geschrieben wurde – Autoren erwähnten Atemkontrolle manchmal kurz in einer allgemeinen Arbeit über Kendo-Technik aber ich konnte nichts finden, das eine präzise und systematische Erklärung enthält. Dieses Fehlen wurde auch von Sato Ukichi, einem der einflussreichsten Kendo-Lehrer im Nachkriegsjapan, erkannt und bedauert: „Atemmethode hat einen direkten Effekt auf das Ergebnis eines Kendo-Kampfes und deswegen ist die Frage nach Atmung in einer Kampfsituation eine, die viel Forschung verdient… Leider gibt es aus irgendeinem Grund relativ wenige Arbeiten, die sich damit beschäftigen.“.i
Also musste ich viele Kendo-Handbücher und Abhandlungen der Bibliothek durchgehen, und aus Magazinen die Erinnerungen von älteren Kendo-Lehrern, um puzzleartig das zu erstellen von dem ich hoffe, dass es sich als etwas herausstellen würde, das dem Gesamtbild der Rolle der Atemkontrolle im Kendo nahe kommt. In Ermangelung jeglicher strukturierter Referenz richtete ich mich bis zu einem gewissen Grad nach der berühmten Kyudo-Abhandlung des viel respektierten deutschen Philosophen und Gelehrten Eugen Herrigel „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ – in einem Versuch, sowohl durch Kendo eine in der japanischen Kulturbewegung weit verbreitete Charakteristik zu illustrieren, als auch meiner Arbeit ein wenig akademische Glaubwürdigkeit zu verleihen. Herrigel bestimmte die Rolle der Atemkontrolle in den verschiedenen Stufen seines Techniktrainings und ich fragte mich, ob seine Ergebnisse auch für Kendo gelten würden (Da dies eine Kendo-Publikation ist werde ich nicht zum Kyudo abschweifen aber ich ermuntere jeden Leser, diese bemerkenswerte und extrem einflussreiche Arbeit zu lesen).
Was ist also der Unterschied in der Atmung im Kendo? Beim Kendo wird einem manchmal beigebracht, durch den „Bauch“ zu atmen oder Zwerchfellatmung zu benutzen – ein Begriff der häufig benutzt wird um eine Atmung zu bezeichnen, die die Unterleibsmuskeln (größtenteils das Diaphragma) benutzt, im Gegensatz zu der typischen brustkorb-basierten Atmung, in der die Atmungsmuskeln die interkostalen Muskeln sind. Allerdings ist die Zwerchfellatmung, die im Kendo gelehrt wird, ziemlich anders als konventionelle Zwerchfellatmungii. Beispielsweise bläht sich der Unterleib bei der konventionellen Zwerchfellatmung auf, wenn man einatmet, und „entleert“ sich, wenn man ausatmet. Allerdings wird beim Kendo gelehrt, immer etwas Spannung im unteren Unterleib zu haben, mit dem Ergebnis, dass sich der Unterleib während des Ausatmens niemals „entleert“ – und einige Kendo-Lehrer befürworten „umgekehrte Zwerchfellatmung“ bei der der untere Unterleib während des Ausatmens sogar anschwillt. Die Zwerchfellatmung des Kendos hat Ziele, die über den normalen Atemgasaustausch hinausgehen und die eigentlich verbunden sind mit dem Transfer des Kendo-Schwerpunktes, nicht nur physikalisch sondern auch psychologisch, vom Ober- in den Unterkörper, ein ganzheitlicher Zentrumstransfer nach unten.
Die traditionelle orientalische Verbindung zwischen psychologischem Zustand und Atmung ist heutzutage gut dokumentiert und durch wissenschaftliche Forschung belegt. Wenn man in einem ruhigen psychologischen Zustand ist, ist die Atmung, natürlich, kontrolliert und regelmäßig. Sie neigt sich auch zu tiefer abdominabler Atmung. Wenn man angestrengt und panisch ist, tendiert die Atmung zu „steigen“ und wird flach und schnell – das Extrem ist Hyperventilation. Diese Idee der Stabilität, „tief“ zu sein („Beruhig dich“), und Erregung, „hoch“ zu sein („Temperament steigt“), gibt es auch im Westen, aber die Verbindung zwischen Psyche und Atmung ist wechselseitig. Atmung wird durch den psychologischen Zustand beeinflusst, kann aber auch eine Änderung des psychologischen Zustandes hervorrufen. Obwohl Atmung üblicherweise unbewusst funktioniert, ist es eine der wenigen Körperfunktionen, die bewusst verändert werden kann, woraus das Konzept der Atemkontrolle resultiert. Dieses wurde lange im Osten angewendet, wo Meditationstechnik üblicherweise versucht, die Atemmuster der Ruhe zu replizieren, das heißt Zwerchfellatmung, um einen psychologisch ruhigen Zustand zu erreichen.
In der Tat postuliert das asketischste Training Japans, Zen, Training von Körper (Haltung), Atmung und Geist als seine essentiellen Elemente. Dieser verlängerte Aufsatz wird nicht versuchen, Kendo im Hinblick auf den Zen Buddhismus zu erklären – ich beabsichtige den Fokus zum größeren Teil auf die Atemkontrolle in tatsächlicher Technik zu halten. Jedoch fordern die Prinzipien des Kendo, die von der Alljapanischen Kendo Föderation festgelegt wurden, dass sein Ziel sein sollte, durch Training der Kendotechniken die Person zu verändern. Von Kendo wird gesagt, dass es drei Typen von Training umfasst: physisch, mental und ethisch; es ist ein Weg, ein michi, welcher einen nicht nur physisch transformieren sollte, sondern auch zu einem andersartigen psychologischem Wesen führt – das ist die festgelegte Zielsetzung.
Daher, dass Atemkontrolle ein wichtiges Element in anderen japanischen asketischen Trainingsmethoden zu sein scheint, scheint es mir, dass es im Kendo gleich wichtig sein dürfte. Wenn es so wäre, würde eine Studie darüber nicht nur viel über Technik offenbaren, den so genannten physikalischen Aspekt der Kunst, sondern auch über den psychologischen Inhalt, der benötigt wird, um die höchsten Stufen zu erreichen. Zur gleichen Zeit, wenn, durch das Mittel der Atemkontrolle, Technik gleichzeitig auf physischem und psychischem Niveau funktionierte, würde sie, in sehr anschaulichen Begriffen, Aufschluss über das orientalische Konzept der Einheit von Geist und Körper geben und würde den Anspruch von Kampkünsten beglaubigen, dass sie mehr sind als physische Übungen.
In den nächsten Ausgaben werde ich untersuchen, wie sich Zwerchfellatmung im Kendo manifestiert, beginnend von der Grundhaltung und Kleidung; Fußarbeit, Grundschlagtechniken und Trainingsschemata wie kiri-kaeshi und kakari-geiko. Ich werde auf die Beziehung zwischen Unterleibsatmung und ki-ai (Stimmgebung) schauen. Ich werde ihre Rolle beim seme-ai (gegenseitiges testen auf Schwächen vor dem Schlag) betrachten; und darauf schauen, wie sie in kata (formale Übung) gelehrt werden kann. Schließlich werde ich betrachten, wie einige sehr fortgeschrittene Kendo-Übende sie nutzen um ihr Training zu verbessern und ihre Funktion auf den höchsten Stufen der Kunst betrachten.
i Sato Ukichu (Kendo Hanshi 9. Dan) in Ei-en naru Kendo (Eternal Kendo) 1975 Seite 212 ff (Überstetzung von Steven Harwood)
ii Im Kendo ist der Fokus der Atmung das „tanden“, ein Punkt, der sich unter dem Bauchnabel im Zentrum des unteren Unterleibes befindet, und der in der orientalischen Medizin für die Quelle von Gesundheit, Lebenskraft und eki-Energie gehalten wird. Wenn Kendo-Lehrer sich auf Zwerchfellatmung beziehen, beziehen sie sich meistens auf diese tanden-Atmung.