(Das Schwert der Nicht-Kontemplation)
Itō Ittōsai (1560? – 1653?)
Gründer der Ittō-ryū
„Selbst im Schlafzustand wird ein Mann mit einem juckenden Fuß nicht seinen Kopf kratzen. Wenn es ihn am Fuß juckt, wird er seinen Fuß kratzen. Wenn es ihn am Kopf juckt, ist es der Kopf, den er kratzt.“
Allgemein bekannt als Itō Ittōsai Kagehisa, war sein erster Name Yagorō. Niemand weiß sicher, wann oder wo er geboren wurde, aber es war irgendwann in der späten Sengoku-Periode, eventuell in Omi oder Kaga, oder sogar Echizen. Der Legende nach verließ er sein Zuhause im Alter von 14 Jahren und glitt auf einem Stück Holz von Oshimi nach Mishima auf den Izu Inseln. Seine zerzauste Erscheinung, sein furchteinflößender Blick und sein ziemlich eigenartiges Verhalten pflegte die Leute zu ängstigen. Aber es war dieser junge Mann von mysteriöser und vielleicht bescheidener Herkunft, der einen der in der japanischen Geschichte einflussreichsten Schwertstile erschuf.
Viele der Lehren seiner Schule durchdringen den Gedanken des modernen Kendo und seine Beiträge zu den technischen und philosophischen Untermauerungen unserer Kunst können nicht überbewertet werden. Was ihn von anderen großen kengō in Japan wie Kamiizumi Ise-no-Kami und Tsukahara Bokuden unterscheidet ist, dass während sie alle in berühmte Kampfkunstfamilien geboren wurden, Yagorō ein ziemlich unbeschriebenes Blatt war, was die Herkunft und das Potenzial, sich in der Ellbogengesellschaft der mittelalterlichen Fechtkunst hervorzutun, angeht.
Yagorō startete seine Karriere in der Altstadt von Kyoto. Dort lernte er unter der Anleitung des berühmten Meisters Kanemaki Jisai (1536 – 1615) die Toda-ryū (Chūjō-ryū). Nach wenigen Jahren des Studiums rief er seinen Meistern gegenüber ziemlich hochmütig aus:“Ich habe die tiefen Geheimnisse der Kampfkunst entdeckt!“ Leicht verstört von der Überheblichkeit seines Schülers erwiderte Jisai scharf:“Schwachsinn, mein Sohn. Mit nur zwei oder drei Jahren unter deinem Obi, wie kannst du es wagen zu verkünden, dass Du die tiefen Geheimnisse verstanden hast? In dieser Phase deiner Karriere wirst du besser gesehen und nicht gehört. Was für eine Frechheit!“
Nicht im Geringsten von diesem Protest entmutigt blieb Yagorō hartnäckig.
„Die geheimen Wunder der Kampfkünste sind vom Einzelnen abhängig. Es ist nicht wichtig, von wem man gelernt hat oder wie viele Jahre man studiert hat. Entweder man hat es oder nicht. Wie wäre es, wenn ich dir den Arsch versohle um dir zu zeigen, dass ich Recht habe?“
Dies ist freilich keine Einstellung, die ein Schüler seinem Mentor gegenüber haben sollte. Jisai hatte einen Ruf zu verlieren und war nicht bereit, Yagorō wegen seiner dreisten Anmaßung vom Haken zu lassen. Er nahm ein bokutō und bereitete sich vor, dem jungen Emporkömmling eine gute Lektion in Manieren zu erteilen. Jisais Angriff wurde erfolgreich von Yagorō gekontert, der den ersten Treffer setzte. „Noch einmal!“, rief Jisai aus. Das Gleiche passierte wieder und wieder. Jisai war beeindruckt, wenn auch verwundert, ob er sich wirklich die Lorbeeren für das Wunderkind, das ihm gegenüber stand, einheimsen konnte. „Yagorō, ich bin durch deine Fähigkeit wirklich gedemütigt. Bitte sage, wir du es gemacht hast?“ Yagorō erklärte die Basis für seine Fähigkeit.
„Selbst im Schlafzustand wird ein Mann mit einem juckenden Fuß nicht seinen Kopf kratzen. Wenn es ihn am Fuß juckt, wird er seinen Fuß kratzen. Wenn es in am Kopf juckt, ist es der Kopf, den er kratzt. Wo immer es juckt, die Hand geht ohne zu zögern sicher dorthin. Bei den Kampfkünsten ist es das Gleiche. Wenn es eine Gelegenheit gibt, muss das Schwert mühelos zu dem Punkt gleiten, ohne ein kleines bisschen Unentschlossenheit. Das ist es, was ich entdeckt habe…“
Jisai belohnte seine Erkenntnis mit einer Lehrerlizenz in der Toda-ryū und gab ihm die Genehmigung, seine eigene Schule zu gründen. Unter den Schriftrollen von Yagorōs Ittō-ryū findet man Hinweise auf die Lehre von mushin-shusō (Nicht-Absicht, Nicht-Kontemplation). Es wird berichtet, dass dies aus einer Erleuchtung stammt, die Yagorō während seiner Reisen hatte. Während einer Periode strengen „Zirkeltrainings“ und Gebete im Tsurugaoka Hachimangu Schrein in Kamakura wurde er von einem unbekannten Angreifer angesprochen, der ihn töten wollte. Ohne überhaupt nachzudenken oder zu registrieren, was passierte, zog Yagorō schnell sein Schwert und schnitt ihn nieder. Er erzählte diese Geschichte in seinen späteren Jahren einem seiner Studenten.
„Auch wenn es bedauerlich ist, dass ich den Mann töten musste, so war es ein superbes Beispiel für das, was ich musō-no-ken oder das Schwert der Nicht-Kontemplation nenne. In anderen Worten war es ein Schnitt, der spontan ohne nachzudenken ausgeführt wurde, als ob das Schwert sich durch seinen eigenen Willen bewegt hat.“
Dieses Ideal sollte das philosophische Fundament der Ittō-ryū werden, eine der einflussreichsten Schulen der japanischen Schwertkunst.
Erschienen in: Kendo World Magazine 5.2, 2010, S. 96 – 97
Autor: Alex Bennett
Übersetzung: Stefan Alpers
Veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis des Kendo World Magazine