Uma wa haneru mono (馬は跳ねるもの)

(Pferde treten!)

Tsukahara Bokuden (1490 – 1571)

Einer der größten Schwertmänner Japans und Gründer der Kashima Shinto-ryū, die wiederum die Entwicklung von vielen großen Fechtern sah.

Dem Tritt eines Pferdes ausweichen zu können, wenn es auskeilt ist wahrlich eine eindrucksvolle Darstellung von technischem Können und Geschicklichkeit. Aber zu vergessen, dass sie treten und lässig an ihrem Hintern vorbeizugehen macht in erster Linie dich zum Arsch!“

Tsukahara Bokudens Kenjutsu-Karriere startete, als er gerade drei Jahre alt war. Von jungen Jahren an machte er sich mit seinem kämpferischen Können einen Namen, auch weil sein Vater und sein Adoptivvater beide selber berühmte Schwertmänner waren. Nach vielen Trainingsjahren entschied er eines Tages, sich selbst für eine Dauer von 1000 Tagen im Kashima Schrein einzusperren,um über den Sinn der Fechtkunst nachzudenken. Wie die Geschichte erzählt, erhielt er eines Tages eine göttliche Inspiration und erschuf seine Shinto-ryū, die auf dem Prinzip hitotsu-tachi („einzelner Schlag“) aufbaut. Obwohl diese immer noch ein Mysterium und schwierig zu interpretieren ist, erklärt die hitotsu-tachi-Philosophie im Grunde, dass ein Schwert in drei unterschiedliche Sphären eingeteilt werden kann. Die erste ist die „Zeit der Himmel“, die zweite der „Vorteil der Erde“ und die dritte ist eine Kombination aus beiden, ergänzt um das menschliche Element. Diese Prinzipien können heutzutage in unterschiedlichen Graden und Interpretationen in anderen Schulen gefunden werden aber zu Bokudens Zeit war es eine revolutionäre Philosophie, die ihm landesweit viel Ruhm brachte.

Bokuden verbrachte viel Zeit damit, das Land auf der Suche nach Herausforderungen zu durchreisen (musha-shugyō). Seine Heldentaten sind im Kōyō-gunkan aufgezeichnet, einem Text über das Leben und die Zeit eines der am besten bekannten japanischen Kriegsherren, Takeda Shingen. In diesem Text wird erwähnt, dass in seiner dritten musha-shugyō Expedition Bokuden eine Truppe von ungefähr 80 Lehrlingen, drei Falken und drei oder vier Pferden anführte, und dass sie überall, wo sie hingingen, verehrt wurden. Das war eine Entourage fast in der Größenordnung eines daimyō (Kriegsherr) und ihr Ziel war, die ryū zu verbreiten. Der Berechtigung eines großen Schwertmannes wurde mit solchen Taten, wie das Durchwandern der Landschaft und das Verbreiten des Stils, Geltung verschafft. In der Tat beanspruchte Bokuden viele mächtige Anhänger seines Fechtkunststils, darunter die Shōgun Ashikaga Yoshiharu, Yoshiteru und Yoshitaki und viele weitere berühmte Fechter wie den legendären Yamamoto Kansuke, um nur einige zu nennen. Als Resultat wurden viele Kenjutsu-Schulen als Ableger von Bokudens Schule gegründet, was seine Größe noch weiter bezeugt.

In seiner Karriere nahm Bokuden angeblich an 19 Duellen auf Leben und Tod und an 37 Kämpfen teil, ohne eine einzige Schramme abbekommen zu haben. Sogar in Friedenszeiten war sein tägliches Verhalten von größter Vorsicht, eine Eigenschaft, die allgemein von vielen großen Kriegern gezeigt wurde.Bokudens gutes Gefühl und seine Voraussicht bilden die Grundlage für viele bekannte Geschichten über ihn. Zum Beispiel entschied Bokuden einmal, einen seiner Schüler in das Geheimnis von hitotsu-tachi einzuführen. Dieser besondere Schüler ging zufälligerweise an der Seite einer Straße entlang und traf auf ein Pferd, das dort stand und die Straße blockierte. Der Schüler entschied, am Hinterteil des Pferdes vorbeizugehen. Das Pferd erschreckte sich plötzlich und trat mit seinen Hinterbeinen aus. Der Student war wegen seiner ausgezeichneten Geschicklichkeit in der Lage, den Pferdehufen flink auszuweichen. Ein Zeuge dieser Darbietung von Geschicklichkeit war so beeindruckt, dass er sofort losging, um Bokuden über diese große Tat zu berichten.

Bokuden war allerdings überhaupt nicht beeindruckt. “Das ist nicht das, was ich von jemandem erwarte, bei dem ich kurz davor war, ihn das Geheimnis von hitotsu-tachi zu lehren!“, lamentierte er. Der Zeuge war ziemlich überrascht von Bokudens scheinbar harter Einstellung und fragte nach, was Bokuden in so einem Fall tun würde. Hätte er dort gestanden und sich treten lassen? Daraufhin ging Bokuden mit dem Frager im Schlepptau zu dem fraglichen Pferd. Bokuden verließ die Straße um den langen Weg zu nehmen und das Pferd in Gänze zu vermeiden, sehr zur Enttäuschung des Zuschauers. Außerordentlich unbeeindruckt durch diese feige Darstellung, fragte er Bokuden erneut, warum er seinen Schüler nicht wegen seiner Geschicklichkeit preise. „Pferde treten! Dem Tritt eines Pferdes ausweichen zu können, wenn es auskeilt ist wahrlich eine eindrucksvolle Darstellung von technischem Können und Geschicklichkeit. Aber zu vergessen, dass sie treten und lässig an ihrem Hintern vorbeizugehen macht in erster Linie dich zum Arsch!“

Es gibt eine weitere, gut bekannte Geschichte, die denselben Gedanken verdeutlicht. Bokuden platzierte ein Kissen über der Tür, so dass es herunterfallen würde, wenn die Tür geöffnet würde. Dann rief er seine drei Söhne einen nach dem anderen in den Raum. Der erste Sohn war in der Lage, rechtzeitig sein Schwert zu ziehen und das fallende Kissen zu zerschneiden. Der zweite Sohn schaffte es, dem fallenden Kissen auszuweichen ohne sein Schwert zu ziehen. Der dritte Sohn ahnte, dass ein Kissen über der Tür war und entfernte es vorsichtig, bevor er eintrat. Bokuden machte ihn zu seinem Nachfolger.

Pferde treten und über der Tür platzierte Kissen fallen herunter. Einem Pferdetritt auszuweichen oder ein fallendes Kissen zu zerschneiden, während es auf dich herabfällt, ist nicht im Geringsten lobenswert. Vorsicht und Voraussicht zu haben und in erster Linie nicht in solche Problemsituationen zu kommen ist bei weitem die bessere Eigenschaft, und eine, die von Bokuden personifiziert wurde.

Erschienen in: Kendo World Magazine 1.3, 2002, S. 64 – 65
Autor: Alex Bennett
Übersetzung: Stefan Alpers
Veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis des Kendo World Magazine