Kendo ist wie ein See

Dies ist die Übersetzung eines englischen Artikels von der Seite eines Kendoclubs aus Denver (USA). Er bietet einen Denkanstoß, was im Kendo wichtig ist und was die Faszination an Kendo  ausmachen kann. Das Original habe ich 2007 unter http://www.denverkendo.com/pages/theory gefunden. Diese Seite gibt es anscheinend nicht mehr. Verfasser und Erscheinungsdatum waren mir damals leider unbekannt und sind es auch heute noch.

„Für jeden, der sich noch nicht mit Kampfkünsten auseinandergesetzt hat, sieht es einigermaßen einfach aus, einen Kampf zu gewinnen. Triff deinen Gegner so, dass er bewegungsunfähig wird, und es ist vorbei. In der Praxis ist das für die meisten Leute ziemlich schwer. Das führt zu der uralten Frage: Wie gewinne ich, wenn mein Gegner stärker, schneller oder größer ist als ich?

Die Geschichte zeigt, dass es immer jemanden gibt, der stärker, schneller oder größer ist. Aus solchen Überlegungen sind die Kampfkünste entstanden, die sich als überraschend effektiv gegenüber Untrainierten bewiesen (und weiterhin beweisen) und plötzlich ging es nicht mehr darum, einen Kampf sondern einen Wettstreit zu gewinnen. Einen Wettstreit in dem Sinne, dass sich zwei „Gleiche“ miteinander messen und alles was sie haben, geben werden um den anderen in einer kontrollierten Umgebung zu besiegen. Dies ist das ausgereifte Produkt rationaler menschlicher Aggression: Jeder hat die Fertigkeiten, so lasst uns sehen, wer sie besser beherrscht.

Wie gewinnt man also, wenn man unterlegen ist? Härter trainieren? Jeder ist menschlich und bis zu einem bestimmten Grad haben wir alle die gleiche Kapazität, uns zur Perfektion zu trainieren. Wenn es das also wäre, dann würden die Gene entscheiden, wer gewinnt. Jeder Kendoka kennt die gleichen Techniken, also führt vielleicht die Geschwindigkeit zum Sieg.

Nun können aber einige 80-jährige Fechter leicht Kämpfer erledigen, die 60 Jahre jünger sind, zehn Kämpfer, 20 Kämpfer, und dann lachen und nach mehr fragen. Erfahrung? Der Gewinner der letzten Alljapanischen Kendo Meisterschaft ist Anfang 30 und er hat einen Mann bezwungen, der Ende 40 ist, einen Mann der diesen Titel vorher insgesamt sechs mal gewonnen hat.

Nein, die Antwort ist buchstäblich in deinem Kopf. Das erste, was ein Kendo-Anfänger lernt, ist, sich zu entspannen. Darüber nachzudenken, was man tun möchte, führt nur dazu, diese Absicht auszusenden und der Versuch wird fehlschlagen. Entwickel Deine Reflexe und dann vertraue ihnen. Dies wird eine lange Weile dauern aber Du bist wahrhaftig ein (keimender) (Kampf)Sportler, wenn Du merkst, dass das der Fuß des Berges ist und nicht sein Gipfel. Um gut zu sein, muss man hart trainieren; um groß zu sein muss man klug trainieren.

In den ersten Jahren meines Kendo-Trainings war ich ein paar Monate in einem anderen Dojo, weil mein Sensei unerwarteter Weise nach Japan gerufen wurde. Dieses Dojo sandte in diesem Jahr ein Team zur nationalen Meisterschaft, also trainierten sie ziemlich hart in diesem Sommer und ich musste wegen meiner Unerfahrenheit eine Menge Schläge einstecken, aber ich blieb dabei. Ich kam mit einem erfahrenern Schüler ins Gespräch, nachdem er mich geräuschvoll zum zehnten Mal in ebenso vielen Trainingseinheiten besiegt hatte. Hier fasse ich zusammen, was er sagte:

„Kendo ist wie ein See. Wenn Du ihn zum ersten Mal siehst, gehst Du um in herum und denkst: „Das ist ein ganz schön großer See. Ich frage mich, was da drin ist? Ich wette es macht Spaß, darin zu schwimmen.“ Also springst Du hinein und es macht Spaß, darin zu schwimmen aber du merkst, dass in dem See Strömungen sind, die das Schwimmen anstrengender machen als es aussah. Bald bist Du mit den Strömungen vertraut und Du kannst Dich wieder ohne Anstrengungen vergnügen.

Dann siehst Du in der Nähe des Ufers etwas am Grund des Sees scheinen. Du tauchst hinunter um zu sehen, was es ist und augenblicklich zieht Dich eine Unterwasserströmung vom Ufer weg. Diese Strömungen kennst Du nicht und Du bist eingeschüchtert davon, wie weit Du von dem Punkt entfernt bist, an dem Du gestartet bist. Aber dann merkst Du, dass Dein Wissen, das Du vorher gesammelt hast, Dir an dieser neuen Stelle helfen kann. Du fürchtest, dass das Wassertreten Dich ermüden wird aber die Übung, die Du in der Nähe der Küste bekommen hast, hat aus Dir einen besseren Schwimmer gemacht, so dass Du Deine Sorge bald überwindest.

Du schwimmst leicht zu der Stelle zurück, von der Du fortgeschwemmt wurdest und Du tauchst wieder nach der Quelle des Glimmerns hinab. Es ist die unglaublich schönste Unterwasserpflanze, die Du je gesehen hast, sie sieht fast außerirdisch aus in ihrer ganzen Komplexität und Du kannst Deine Augen nicht von ihr nehmen. Bald schmerzen Deine Lungen und Du bist gezwungen aufzutauchen, um zu atmen aber Du tauchst sofort wieder zum Schauen hinab, weil Du so fasziniert bist. Das tust Du wieder und wieder und jedesmal kannst Du etwas länger unten bleiben, jedesmal brauchst Du etwas weniger Zeit an der Oberfläche. Ganz allmählich prägst Du Dir die Konturen der Pflanze ein, wie sie sich im Wasser bewegt und bald ist sie Dir vertraut, doch es ist etwas, worauf Du stolz bist es zu kennen.

Dann sind Deine Lungen so an die Belastung gewöhnt, so dass Du beschließt, nach anderen neuen schimmernden Dingen zu schauen und Du findest sie und Du findest andere und dann bemerkst Du, dass Du wieder draußen in der Mitte des Sees bist, dieses Mal an seinem Grund. Es dauert eine Ewigkeit an die Oberfläche zurückzukehren aber Du schaffst es. Von all den neuen Dingen, die Du gefunden hast und die auf Dich warten, ermutigt, lächelst Du. Deine Lungen tun weh aber Du gehst zurück auf den Grund.

Etwas, was Du durch den Schmutz nicht genau ausmachen kannst, taucht am Rande Deines Blickfeldes auf und Du schwimmst darauf zu. Plötzlich verschwindet der Grund in der Dunkelheit und Du merkst das das, was Du gesehen hast, sich bewegt hat. Du schwimmst herunter und hoffst, mehr zu sehen und merkst, dass Du keine Luft mehr hast. Du tauchst auf und schnappst schwer nach Luft, willst aber sofort wieder runter um alles zu sehen. Wieder und wieder bist Du gezwungen nach oben zu schwimmen weil Du nicht genug Luft hast, jedesmal kommst Du etwas tiefer aber nie tief genug, um Deine neue Neugier zu befriedigen. Du erhaschst flüchtige Blicke auf sich bewegende Dinge im tiefsten Teil des Sees aber Du bist nie schnell genug, sie zu erwischen. Schließlich tauchst Du auf, nachdem Du beinahe in Ohnmacht gefallen bist und Du merkst, dass Du niemals alles sehen wirst, aber Du weißt, es ist da.

Du kletterst aus dem See und Du findest Dich stark genug, den kalten Wind auf Deiner nackten Haut auszuhalten, schnell genug, ein Eichhörnchen zu fangen und ruhig genug, ein Ei auf der Spitze zu balancieren. Dann siehst Du zurück über Dein Schulter, lächelst und beschließt, diesen See häufig zu besuchen.“

Ich würde sagen, dass fasst alles ganz gut zusammen. Du kannst Deinen Körper trainieren um Ungemach zu überwinden, die wahre Kraft liegt in Deinem Geist. Kendo ist nicht einfach aber durchzuhalten ermöglicht es Dir, Dich für erstaunliche Dinge zu öffnen.“

Übersetzung: Stefan Alpers