Erschienen in : Kendo World Magazine 2.2 2003
Autor: Steven Harwood
Übersetzung: Stefan Alpers
Veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis des Kendo World Magazine
In dieser Ausgabe möchte ich die Verbindung zwischen Ausrufen und Atemkontrolle im Kendo betrachten. Obwohl außerhalb Japans üblicherweise als kiai bezeichnet, wird das beim Kendo auftretende Ausrufen mit einer Vielzahl von japanischen Begriffen bezeichnet, die, oft abhängig von der Situation, in der es auftritt, kiai, kakegoe, hassei und koshou beinhalten. Obwohl es offensichtlich Verbindungen zwischen Kendo und einigen modernen Sportarten, so wie Gewichtheben, Speer- oder Hammerwurf, gibt, durch Benutzung des Ausrufens Kraft zu erzeugen, scheint es so zu sein, dass die Praktik von bewusstem Ausrufen vor der Technikausführung (kakegoe) und die Praktik der Benennung des Ziels an dem Punkt der Technikausführung (koshou) eine kennzeichnende Eigenschaft von Kendo ist. Und da kiai ein Bestandteil eines gültigen Schlages ist, ist Ausrufen ein dringend benötigtes Element der Kendotechnik, was von den oben genannten modernen Sportarten nicht gesagt werden kann.
Die Rolle des Ausrufens
Um die Verbindung zwischen Ausrufen und Atemkontrolle zu betrachten, müssen wir erst die Rolle des Ausrufens an sich untersuchen. Wenn wir die Schriften von Takano Sasaburo berücksichtigen, können wir sehen, dass durch die Benutzung sowohl physiologische als auch psychologische Effekte erstrebt werden:
„Durch Ausrufen erhärtet man seinen Mut und fügt seinen Schlägen Stärke hinzu; man schüchtert seinen Gegner ein und unterdrückt seine Schwertbewegungen. Durch Ausrufen kann man sein Bewusstsein erweitern und den Geist von Körper und Seele verstärken.“i
Der vor kurzem verstorbene Komorizono Masao (Hanshi 9. Dan, Professor an der International Budo Univerity) schreibt in ähnlicher Weise:
„Ausrufen und Maximierung von Geist und Technik sind eng verbunden und wenn man mit voller und vereinter Seele, Geist und Technikii schlägt, wird man ganz natürlich ausrufen. In anderen Worten, Ausrufen ist ein Kanal für geistige Energie…Folglich kann man durch Ausrufen seine Seele, Geist und Technik vereinigen und verdoppeln.“iii
Also können wir sehen dass das Aufrufen im Kendo darauf zielt, physikalischen und psychologischen Wandel hervorzurufen (was gänzlich mit der ganzheitlichen Konzeptualisierung der Kendotechnik übereinstimmt) aber gegenwärtig möchte ich mich auf den Effekt dieses bewussten Ausrufens auf den physikalischen Aspekt der Ausführung von Kendo-Technik beschränken.
Ausrufen und Atemkontrolle
Wir sahen, dass Mitsuhashi Shuz besorgt war, dass Anfänger dazu tendieren, sich zu sehr aufs Einatmen zu konzentrieren und so betonte er sehr stark das Ausatmen während der grundlegenden Übungsmuster von suburi, kiri-kaeshi, kakari-geiko und uchi-komi. Also ist es einfach zu vermuten, dass eines der Ziele beim Schreien von „men / kote / do / tsuki“ beim Schlagen ist, sicherzustellen, dass man beim Schlagen ausatmet. Diesbezüglich gibt Morita Monjuro Aufschluss über die Beziehung zwischen Technikausführung und Ausrufen:
„Man muss nicht vom Anfang bis zum Ende des Schlages einatmen oder man wird Stärke im Unterbauch (tanden) verlieren. Es ist wichtig, beim Schlagen auszuatmen und Ausrufen ist ein Weg das zu erreichen.“iv
Wir sehen also, dass Morita eigentlich Ausrufen als Methode entwirft, um sicherzustellen, dass man bei der Technikausführung nichteinatmet. Die Schriften von Takano Sasaburo (einem der einflussreichsten Gründer des modernen Kendo) scheinen diese Idee zu unterstützen:
„Anfänger müssen in der Lage sein, natürlich auszurufen und deswegen sollten sie laut und mit Vitalität ausrufen (beim Schlagen).“v
Diese Aussage bekommt eine zusätzliche Bedeutung wenn man bedenkt, dass Takanos eigenes klassisches System, die Itto-ryu, kein kiai benutzte (und benutzt) und dass die auf der Itto-ryu basierte Go Gyo no Kata, die Takano zum Lehren entwarf, und welche wiederum die moderne Kendo kata stark beeinflusste, auch kein Ausrufen enthält. Daher scheint es, dass die Bedingung, auszurufen, besonders auf Anfängerstufe, in das moderne Kendo mit dem Ziel eingeführt wurde, korrekte Atemkontrolle bei der Technikausführung zu lehren.
Kiai aus dem Bauch
Kiai während des Schlagens ist nicht bloß eine Frage von so laut oder lange Schreien wie möglich. Was verlangt wird ist ein besonderer Typ des Ausrufens, der den Schlag verstärken wird. Komorizono Masao lehrte das Folgende:
„Der Schrei, den man beim Schlagen macht, muss klangvoll, straff, kurz und scharf sein. Also ist es nicht gut, lediglich den Mund weit zu öffnen und den ganzen Atem auszustoßen.“vi
Wir haben schon gesehen, dass Schlagkraft nicht beim Ausatmen maximiert wird, sondern wenn der Atem für einen Moment angehalten wird und so können wir vermuten, dass die Kendomethode des Ausrufens dieses reflektiert. Es wird oft gesagt, dass dieses Ausrufen aus dem Bauch kommen soll, aber ich glaube, dass es genauer und aufschlussreicher ist stattdessen zu sagen, dass Ausrufen in den Bauch gestopft werden sollte. Enomoto Shoji von der Nanzan Universität erklärt das etwas klarer:
„Wenn ein Sänger singt, wird die Flamme einer Kerze, die direkt vor seinem Mund platziert wird, nicht flackern…obwohl sie ausrufen, stoßen sie die Luft nicht stark aus und deswegen ist die Flamme nicht beeinflusst. Das Ausrufen beim Kendo ähnelt diesem…wenn man schreit, sollte man seinen Unterbauch stärken, um die physikalische und geistige Energie zu verstärken.“vii
Folglich sollte der Effekt eines kurzen scharfen Ausrufens nicht eine äußerliche Projektion der Stimme sein, sondern eher eine interne Projektion von Energie in den Unterbauch. Das scheint analog zu den kurzen scharfen Ausrufen zu sein, die Gewichtheber benutzen, wenn sie sich anstrengen, um Gewichte zu heben. Gewichtheber benutzen Ausrufen, um die Muskeln ihres gesamten Körpers anzuspannen und folglich den Druck in der Bauchhöhle zu steigern, um einen Moment maximaler Kraft zu erlangen.viii
Diese Art der Atemkontrolle durch Ausrufen kann auch im modernen Karate deutlich gesehen werden. Im Karate sollte der ganze Körper bis zu dem Moment, in dem die Faust das Ziel trifft, entspannt sein aber beim Auftreffen werden die Muskeln des gesamten Körpers für einen Moment durch das Benutzen eines kurzen, scharfen kiai angespannt, der maximale Kraft erzeugt. Der Umstand, dass der Knoten des obi, oder Gürtels, der unter dem Bauchnabel gebunden wird, benötigt wird, um beim kiai nach vorne zu gehen, illustriert, dass der Fokus dieser Krafterzeugung auf dem Unterbauch liegt.
Wir haben gesehen, dass Mitsuhashi Shuzo befürwortet, dass maximale Energie durch das kurze Anhalten des Atems und Anspannung des Unterbauchs erzeugt wird und also sollte man beim Kendo auch vom Zustand der muskulären Entspannung zu einem kommen, in dem man durch Benutzung des Ausrufens in den Unterbauch ausatmet und dann durch kurzes Anhalten des Atems den Unterbauch anspannt und maximale Schlagkraft generiert.
Qualität nicht Quantität
Wir haben gesehen, dass Ausrufen im Kendo nicht bloß eine Frage des Volumens ist. Zusätzlich dazu, und sehr ergänzend, ist die gerichtete Qualität des Ausrufens im Kendo seine phonetische Qualität – wie sich der kiai anhört. Sato Sadao (Hanshi 9. Dan, Professor an der Universität Tamagawa) schrieb:
„Wenn wir den Klang von kiai betrachten, in denen, die mit ‚a’ enden, neigt sich die Kraft zu zerstreuen; wohingegen in jenen, die mit ‚i’ oder ‚u’ oder ‚o’ enden, die Kraft erhalten bleibt.“ix
Enomoto Shoji schreibt ebenfalls zu diesem Thema:
„Wenn man, mit zusammengezogenen Stimmbändern, jeden Vokal in der Reihenfolge a-, i-, u-, e-, o- ausspricht, wird man vielleicht feststellen, dass man bei ihrem Durchlaufen der Fokus der Anspannung allmählich tiefer und tiefer sinkt, in anderen Worten, bei a- ist die Stärke auf den Bereich zwischen den Augen fokussiert und bei o- ist es der Bauch.“x
Allerdings wird, wie wir alle wissen, die Phonetik des Ausrufens im Kendo durch die Anforderung bestimmt, das Ziel beim Schlagen zu auszurufen: men!, kote!, do!, tsuki!. Wenn wir das im Licht von Satos und Enomotos Kommentaren betrachten scheint es, dass besonders die kiai „kote!“ und vielleicht „men!“ auch schwache Ausrufe sind, wo die erzeugte Kraft dazu tendiert, sich zu zerstreuen. Dennoch ist es nötig auch zu betrachten, an welchem Punkt des Ausrufens der Schlagkontakt erfolgt. Wenn wir zum Beispiel das kiai „men!“ betrachten, findet der Kontakt auf dem „me“ oder auf dem „n“ statt? In Ausgabe 4 dieses Magazins habe ich Sato Ukichis Erklärung der Aun-Atmung, angewandt auf einfache Schlagmuster, betrachtet. Wir sahen, dass bei der Aun-Atmung maximale Schlagkraft auf „un“ erzeugt wurde, was ein kurzes Einstellen der Atmung bedingt und folglich eine Vereinigung von Geist, Schwert und Körper (ki ken tai no itchi). Deswegen sollte der Schlagkontakt auf dem „n“ von „men!“ stattfinden. Gleichermaßen sollte der Kontakt beim starken Element „ko“ von „kote!“ sein und nicht beim relativ schwachen „te“.
In dieser Ausgabe habe ich die Verbindung zwischen Ausrufen und Atemkontrolle im Kontext der einfachen Schlagaktion im Kendo betrachtet. Oft ein Bereich voller Skeptik (oder vielleicht Verlegenheit) für nicht-japanische Übende, haben wir gesehen, dass die Voraussetzung, kiai zu machen, viele Ziele hat. Es hat den grundlegenden Effekt zu versichern, dass der Kendoka während der Schlagaktion ausatmet. Zusätzlich helfen die gerichteten und phonetischen Qualitäten des Ausrufens im Kendo zu versichern, dass der Fokus der Energie im Unterbauch ist und daher zu dem Ergebnis eines Schlages beiträgt, indem der ganze Körper zur Krafterzeugung benutzt wird. Und wir haben gesehen, dass die Wahl des richtigen Zeitpunktes beim Ausrufen eine erhebliche Rolle spielt, um sicherzustellen, dass der Schlagkontakt in dem Moment passiert, in dem die Atmung stoppt und somit eine Synchronisation von Atem- und Schlagsteuerung in diesem kritischen Punkt des Kreislaufes der Energieerzeugung erreicht wird.
In der nächsten Ausgabe möchte ich weitergehen zur Betrachtung, was mit der Atemkontrolle passiert, wenn man sie angesichts eines Gegners in seme-ai in die Praxis umsetzen muss.
i Kendo, S. 122 (Übersetzung von Steven Harwood).
ii Shin Ki Ryoku no Itchi
iii Rei Dan Ji Chi – A Record of Komorisono Masao’s Kendo Teachings, Oya Minoru, S. 84, (Übersetzung von Steven Harwood).
iv Koshi no Tanden de okonau Kendo, S. 36 (Übersetzung von Steven Harwood).
v Kendo, S. 123 (Übersetzung von Steven Harwood).
vi Rei Dan Ji Chi – A Record of Komorisono Masao’s Kendo Teachings, Oya Minoru, S. 86 (Übersetzung von Steven Harwood).
vii Ki wo takameru dake de wa nai kakegoe ga ataeru igai na koka (Not just an increase in ki – the unexpected effects of kiai) in Kendo Monthly magazine, März 2000, S. 43 (Übersetzung von Steven Harwood).
viii Siehe Endnote 11 in Kendo World Ausgabe 4, S. 52.
ix Watahashi no Kendo Shugyo, S. 77 (Übersetzung von Steven Harwood).
x Ki wo takameru dake de wa nai kakegoe ga ataeru igai na koka (Not just an increase in ki – the unexpected effects of kiai) in Kendo Monthly magazine, März 2000, S. 43 (Übersetzung von Steven Harwood).